Christian Kreienbühl bestreitet im Schatten von Viktor Röthlin und Tadesse Abraham den Marathon. Als drittbester Schweizer möchte er ins Ziel kommen und damit einen Beitrag zur Teamwertung leisten.

Morgen Dienstag beginnt die Heim-EM in Zürich. Wie gross ist das Fieber so kurz vor der Eröffnungsfeier im Letzigrund?
Christian Kreienbühl: Es steigt von Tag zu Tag. Momentan dreht sich alles um die EM. Ich bin froh, dass es bald los geht.

Die letzten Wochen haben Sie mit dem Marathon-Team im Engadin verbracht. Worauf lag der Fokus?
Wir haben viele Longruns mit bis zu 38 Kilometer absolviert und dabei auch einige Höhenmeter zurückgelegt. Meist sind wir im Team gelaufen und konnten so nochmals viel von Viktor Röthlin und Tadesse Abraham profitieren. Es waren sehr intensive Wochen.

Wie sind Sie mit Ihrer gesamten Vorbereitung zufrieden?
Eigentlich bin ich sehr zufrieden. Dass ich mich im Februar verletzte und acht Wochen nicht trainieren konnte, war ein harter Rückschlag. Nun glaube ich aber, den Rückstand wettgemacht zu haben. Vom Gefühl her bin ich wieder bei den Leuten.

Am Sonntag vor einer Woche absolvierten Sie in Frankreich über 10 000 Meter Ihren letzten Test. Was sind die Schlüsse aus diesem Lauf?
Er hat gezeigt, dass ich etwa wieder den gleichen Formstand habe wie vor einem Jahr vor der WM in Moskau. Damals war ich auf der gleichen Strecke zwar vier Sekunden schneller (30:15 Minuten), diesmal ging ich aber das Rennen zu schnell an, weil ich versuchte, Tade (Tadesse Abraham – die Red.) auf den ersten fünf Kilometern zu folgen. Das war jedoch fast unmöglich.

Die Marathon-Strecke ist spektakulär mit einigen Steigungen. Wie stellen Sie sich darauf ein?
Ich bin sehr gut vorbereitet, was den Anstieg zur Polyterrasse angeht. Es kommt uns sicher zugute, dass wir mehrmals unter hoher Belastung auf der Originalstrecke laufen konnten. Vielleicht sind die Steigungen für Läufer wie mich, die nicht zu den Schnellsten zählen, gar ein kleiner Vorteil. Gut möglich, dass manch einer zu schnell ins Rennen geht und es ihn bei der Steigung oder beim Abstieg, der noch viel mehr in die Muskeln geht, «verbläst».

Was für eine Taktik verfolgen Sie?
Entscheidend wird sein, dass ich selbst nicht zu schnell ins Rennen starte. Mental dürfte es hart werden. Insbesondere zu Beginn, wenn viele Konkurrenten vor mir laufen. Dass sich die Geduld auszahlt, hat sich aber schon in Moskau gezeigt. Damals war ich auch auf den hintersten Rängen und wurde aufgrund der heissen Temperaturen nach vorne gespült, weil viele über ihren Verhältnissen liefen.

Erhoffen Sie sich dasselbe Szenario in Zürich?
Ich denke, die Steigung und das Gefälle haben etwa den selben Einfluss wie damals die hohen Temperaturen.

In Moskau klassierten Sie sich 25 Ränge vor Ihrem Melderang. Ist das erneut möglich?
Ich hoffe es. Das gesamte Feld der 73 Läufer ist bezüglich der persönlichen Bestzeit sehr nahe beisammen, das eröffnet schon Möglichkeiten.

Was heisst das konkret für Ihre Zielsetzung?
Primär will ich ins Ziel kommen und das Gefühl haben, alles gegeben zu haben. Was rangmässig möglich ist, ist schwer zu sagen, weil man nie genau weiss, wer wie in Form ist. Schön wäre es, wenn ich als dritter Schweizer ins Ziel käme.

Das würde heissen, sie würden einen Teil zu einer möglichen Teammedaille beitragen. Träumen Sie davon?
Ich träume von einem guten Teamresultat. Denn für eine Teammedaille braucht es bei diesem starken Feld viel. Nicht nur einen Exploit vom dritten Schweizer, sondern auch von Tade und Viktor. Und da ich nur meine Leistung beeinflussen kann, wäre es vermessen, die Medaille als Ziel zu setzen.

Wie könnte die Teamtaktik aussehen?
Das werden wir noch besprechen. Ich glaube aber nicht, dass wir eine extrem spezielle Taktik verfolgen, bei der sich einer wie im Radsport als Tempomacher oder Verpfleger opfern muss.

Viktor Röthlin und Tadesse Abraham schieben sich gegenseitig die Favoritenrolle zu. Wer ist für Sie der Läufer mit der besten Chance auf eine Medaille?
Schwierig zu sagen. Tade ist sicher der stärkere Läufer, aber Viktor hat die Erfahrung, um in einem solch taktischen Rennen die richtigen Entscheide zu treffen.

 

DER DRITTE MANN: Angetrieben von Kuhglocken

Die Marathonläufer stehen im Fokus der anstehenden EM. Insbesondere Viktor Röthlin und Tadesse Abraham (LC Uster), die als Medaillenhoffnung zählen. Dass die übrigen drei Schweizer Läufer nur am Rande erwähnt werden, stört Christian Kreienbühl nicht. «Für den Sport ist es schön, dass wir so viel Aufmerksamkeit bekommen, und für mich ist es auch so der Höhepunkt meiner bisherigen Karriere.» Für den 33-jährigen Rütner ist es nach der WM in Moskau 2013 der zweite Grossanlass. Er hoffe, dass das Wetter stimme und viele Leute an die Strecke locke. «Mein Fanclub ist auf jeden Fall bereit und mit Kuhglocken ausgerüstet.»

Geht man nach der Bestzeitenliste, dürfte sich Kreienbühl irgendwo im Mittelfeld klassieren. Von 73 Startern hat er mit 2:15:35 Stunden die 35. schnellste Zeit realisiert. Die WM in Moskau hat aber gezeigt, dass er an einem guten Tag und mit cleverer Taktik weiter vorne landen kann. In Moskau klassierte er sich als 35. obwohl er nur an 60. Stelle gesetzt war. Wichtig ist für Kreienbühl, dass er sich nächsten Sonntag als dritter Schweizer klassiert, und so einen Teil zur Teamwertung, bei der die besten drei Läufer pro Nation zählen, beitragen kann.

(Text: Zürcher Oberländer, Raphael Mahler | Bild: Swiss Athletics)

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