Christian Kreienbühl steigerte sich in wenigen Jahren vom Gelegenheits-Jogger zum nationalen Spitzenläufer. Am Sonntag startet er am Halbmarathon in Berlin.

Nach dem brillanten Steigerungslauf am Berlin Marathon Ende September begann für Christian Kreienbühl eine neue Zeitrechnung. Der 34-Jährige unterbot in 2:13:57 Stunden die Limite für die Olympischen Spiele in Rio um drei Sekunden. Auf dem Erfolgserlebnis baute der für den TV Oerlikon laufende Oberländer aus Rüti in der Folge auf. Nach einer Regenerationsphase bestritt er die vor-weihnächtlichen Stadtläufe in Genf und Zürich und bereitete in einem vierwöchigen Trainingslager in Kenia sein erstes Rennen im Olympiajahr vor. Und das erfolgreich: In Barcelona lief er in 1:04:21 Stunden persönliche Halbmarathon-Bestzeit und erfüllte die EM-Limite.

Nun will Kreienbühl bestätigen, dass seine Formkurve weiter gestiegen ist. Nach einem weiteren Trainingsblock und drei Wochen auf Mallorca kehrt er am Sonntag nach Berlin zurück, wo er erneut die Halbmarathon-Distanz von 21,098 km in Angriff nimmt. Sein Ziel ist es, «nochmals ein wenig schneller» zu sein. Zusätzlich motivierend wirken die starken europäischen Konkurrenten, von denen einige ihre nationalen EM-Li-miten schaffen wollen. «Ich hoffe, dass der eine oder andere 1:03:59 ansteuert. Dann wäre ich fast bei einem 3-Minuten-Schnitt angelangt», sagt er.

Wiederentdeckung in Helsinki

Dem gross gewachsenen Marathonläufer (1,86 m) ist in den letzten Jahren eine erstaunliche Entwicklung geglückt. Mit dem Laufen begonnen hat der Teilzeit bei einem Finanzunternehmen angestellte IT-Projektleiter nämlich erst vor zehn Jahren – oder genauer gesagt: wieder mit dem Laufen begonnen. Als Jugendlicher profilierte er sich nämlich bereits als Waffen- und Langstreckenläufer. Doch mit dem Beginn des Wirtschaftsstudiums verlagerte er seine Prioritäten. Das Laufen büsste an Stellenwert ein: «Ich joggte damals in einem Jahr vielleicht zehnmal, lief weniger Kilometer als nun in einer Woche.»

2006 packte ihn das Lauffieber wieder – eine neue Lebenssituation gab den Ausschlag. Wirtschaftsstudent Kreienbühl belegte von August bis Dezember ein Austauschsemester in Helsinki. «Laufend die Stadt erforschen», nennt er das, womit er einen Teil seiner Freizeit verbrachte. Dabei stellte er fest, «dass sich der Körper erinnerte und dass es mit der Form sehr schnell, sehr steil aufwärtsging». Zurück in der Schweiz, lief er 2007 spontan den Zürich Marathon – in beachtlichen 2:46:28 Stunden. Der Ehrgeiz war geweckt, und er schloss sich der starken Laufgruppe des TV Oerlikon und dessen Coach Rubén Oliver an. Es folgten der Gesamtsieg am Züri-Lauf-Cup 2009, jährlich neue Marathon-Bestwerte, eine Serie von SM-Silbermedaillengewinnen und die vier ersten nationalen Titel.

Gedankenwelten im Blog

Schliesslich bot sich die einmalige Gelegenheit, an der Heim-EM 2014 in Zürich zu starten. Nach der Feuertaufe auf internationalem Parkett an der WM 2013 in Moskau klappte es mit der Fokussierung auf Zürich: Kreienbühl lief nach Viktor Röthlin und Tadesse Abraham die drittbeste Schweizer Zeit und trug damit massgeblich zur Team-EM-Bronzemedaille bei.

Von Kreienbühls Vielseitigkeit und Innovationsfreude zeugt auch sein Lauf-Blog (ckr.ch), den er seit 2013 pflegt. Mit dem jüngsten Beitrag begab er sich auf eine neue Ebene. Er setzte schriftlich um, was ihm bei seinen vielen, vielen Laufschritten durch den Kopf geht. So schrieb er unter dem Titel «Die Macht der kleinen Schritte»: «Ich finde es faszinierend, wie durch viele kleine Schritte etwas Grossartiges – vorher Unvorstellbares – entstehen kann. Geht man jeden Tag einen kleinen Schritt in die richtige Richtung, ist es nur eine Frage der Zeit, bis man sein Ziel erreicht.»

(Text: Tages-Anzeiger, Jörg Greb)

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