Das Härteste beim Marathon? Es sind nicht die zwei letzten Kilometer vor dem Ziel, sondern es sind die zwei letzten Wochen vor dem Start! Was man „im Kopf“ während dieser Zeit durchmacht, ist die reinste Achterbahnfahrt. Zwei Wochen vor dem Tag-X beginnt die sogenannte „Tapering-Phase“, während der man das Training umfangmässig um ca. 30% bzw. 60% reduziert. Weil man davor 12 Wochen lang fast jeden Tag zwei Mal täglich trainiert hat, führt das zu den merkwürdigsten Gedankenspielen. Es gibt folgende drei Phasen:
Zweifel (14 bis 7 Tage vor dem Marathon):
Durch den plötzlich reduzierten Trainingsumfang beginnt man alles zu hinterfragen.
· Habe ich wirklich genug trainiert?
· Habe ich mich vor dem letzten Marathon nicht besser gefühlt als jetzt?
· Was ist das für ein komisches Zwicken im rechten Bein?
· Beim Training im Marathon-Tempo: Wie um Himmels Willen soll ich in dieser Pace einen Marathon laufen? Unmöglich?!
Dies ist die härteste Zeit vor einem Marathon. Und obwohl man weiss, dass sie kommt – man kann es nicht verhindern. Zweifel gehören wohl einfach dazu und sind vielleicht die Voraussetzung, damit man später in die dritte und letzte Phase (Fokus) findet.
Gleichgültigkeit (6 bis 4 Tage vor dem Marathon):
Man (und das Umfeld) versucht sich mit Selbstbeschwörung zu beruhigen.
· Ach, es kommt schon gut. Vor dem letzten Marathon hat es sich gleich schlecht angefühlt.
· Eigentlich ist das Resultat ja egal, schliesslich hat man 12 Wochen gut trainiert und den „inneren Schweinehund“ überwunden.
· Der Weg war das Ziel. Das Leben geht weiter.
Fokus (3 bis 0 Tage vor dem Marathon):
Drei Tage vor dem Marathon beginnt man mit dem sogenannten „Carbo-Loading“. Während dieser Zeit füllt man seine Speicher mit Kohlenhydraten. Dies ist zudem der Startschuss für die letzte Phase. Plötzlich haben sich alle Zweifel und die ganze Gleichgültigkeit in pure Motivation verwandelt. Man denkt in diesen drei Tagen ausschliesslich an den Marathon. Jede und jeder redet nur noch darüber und die Zeitungen, Social Media etc. drehen sich nur noch um Marathon. Man geht die Startliste zum x-ten Mal durch und sucht sich seine härtesten Konkurrenten heraus. Man weiss plötzlich, dass während der Vorbereitung alles perfekt gelaufen ist und eine neue persönliche Bestzeit im Rahmen des Möglichen liegt. Alle Zweifel und alle Gleichgültigkeit sind plötzlich weggeblasen. Denkt man an den Start, entwickelt sich sofort ein mulmiges Gefühl in der Magengegend und man spürt Nervosität aufsteigen, die sich dann laufend verstärkt, je näher der Start rückt. Man ist froh, dass man sich an Routinen halten kann, die man bei früheren Marathons bereits erfolgreich getestet hat. Man will nur noch eines: laufen. Startschuss = Erlösung.
Wie oben angetönt denke ich, dass man mit negativen Gedanken einfach leben muss. Es hilft zu wissen, dass es sie geben wird. Während der nächsten „Zweifel“-Phase, lese ich dann einfach diesen Text nochmals durch und ich werde wissen, dass der „Fokus“ schon noch kommen wird…