Vor wenigen Tagen habe ich ein vierwöchiges Trainingslager in St. Moritz im Rahmen der EM-Vorbereitung abgeschlossen. Das Oberengadin gilt wegen seiner Höhenlage, der hervorragenden Infrastruktur und der traumhaften Natur als Mekka für Ausdauerathleten. Wie verbringt ein Marathon-Läufer vier Wochen im Lauf-Paradies?

Trainingsalltag

07:00 Lauftraining
09:00 Frühstück
10:00 Ruhe (schlafen, lesen, surfen)
12:30 Mittagessen
13:30 Kaffee
14:00 Ruhe (schlafen, lesen, surfen, einkaufen, Tour de Suisse am TV)
16:30 Krafttraining
17:30 Lauftraining
19:00 Nachtessen
20:00 Ruhe (Kino, Film, Fussball-WM)
23:00 Gute Nacht!

Grundsätzlich wird in einem Trainingslager zwei Mal pro Tag gelaufen, den Rest der 24 Stunden verbringt man mit Essen und Ruhe. Es bleibt viel Zeit für sich selbst. Das tönt nun fast nach Sabbatical-artigem Rückzug aus dem Alltagsstress oder nach Selbstfindung in den Alpen. Wer sich allerdings schon selber gefunden hat, nicht gerne liest oder keine anderweitigen Interessen hat, könnte schon bald einen gröberen Lagerkoller einfangen. Insbesondere weil man als Marathonläufer die Tage nicht etwa im 5-Sterne Wellness-Hotel verbringt, sondern im günstigsten Hotel vor Ort in einem ca. 15 m2 grossen Zimmer (mit zwei Betten) ohne eigenem TV und geteilter Dusche/WC haust.

Somit ist es ein grosses Glück, dass das Engadin viele anderweitig Ablenkungen bietet! Gerade in der Nebensaison sind die leeren Hallenbäder, das leere Kino, die leeren Bergbahnen und die atemberaubenden Landschaften ein Genuss. (Wir Kader-Leichtathleten #SwissStarters haben bisher das Privileg alle Bergbahnen kostenlos benützen zu dürfen.) Ausserdem sind manche Trainings derart hart, dass man gerne auch mal ein paar Stunden leblos auf dem Bett liegen bleibt.

Trainingswoche

Wie man der Tabelle entnehmen kann, stehen pro Woche ein Longrun (30 km oder mehr) und zwei Intervall-Trainings auf dem Programm. Die dritte grössere Belastung (im Beispiel ein Steigerungslauf/Crescendo) ist nicht ganz so intensiv. Alle anderen Trainings werden relativ langsam gerannt (ca. 4:00 bis 4:30 pro km) und dienen dazu, die Belastungen zu verarbeiten. Insgesamt legt man so um die 180 bis 210 Kilometer pro Woche zurück.

Lokale Spezialitäten dürfen nicht fehlen

Lokale Spezialitäten dürfen nicht fehlen

Krafttraining

Die Krafttrainings mache ich zwar meist im Kraftraum, alle Hilfsmittel die ich brauche, sind eine Gymnastik-Matte, ein Gymnastik-Ball, ein Balance-Element (z. B. Wackelbrett) und mein eigenes Körpergewicht. Selten oder nie führe ich Übungen an den Maschinen oder mit grossen Gewichten aus, denn das Ziel meines Krafttrainings ist nicht der Muskelaufbau oder die Maximalkraft, sondern Kraftausdauer und Verletzungsprophylaxe.

Bei den Krafttrainings in einer Sport-Hochburg wie St. Moritz ist man im Kraftraum nie alleine. Der Belegungsplan liest sich wie die Gästeliste der Schweizer Sport Awards Gala. Man teilt sich die Räumlichkeiten mit Biathletinnen, Langläufer, Eiskunstläuferinnen, Kanuten oder anderen Exoten. Manchen Sportlern sieht man die Sportart an (uns Marathon-Läufern zum Beispiel), bei anderen haben wir auch schon mal komplett falsch getippt – z. B. Kanute statt Eishockeyaner. In jedem Fall kann man etwas für das eigene Training und die eigene Motivation abschauen. Insbesondere hat mich das Krafttraining der Eishockey-Spieler „schwer“ beeindruckt. Unvorstellbar wie viele Tonnen da pro Spieler zwei Mal pro Tag während Stunden (!) hochgehoben werden.

Ich bin auch ein Velo! (Berglauf-Training für die coupierte Marathon-Strecke an der EM)

Ich bin auch ein Velo! (Berglauf-Training für die coupierte Marathon-Strecke an der EM)

Gruppendynamik

Das Tolle an einem Trainingslager ist, dass man dieses nicht alleine absolviert. Im Alltag spule ich wöchentlich nur zwei von vierzehn Trainingseinheiten in einer Gruppe ab; im Trainingscamp ist es genau umgekehrt. Als Team mit den anderen Schweizer #SwissStarters für den EM-Marathon profitieren wir gegenseitig voneinander, geniessen die gute Stimmung und die Diskussionen über Sport, Gott und die Welt. Nicht alles kann (oder sollte) ich hier widergeben. Einige Beispiele will ich aber nicht vorenthalten. So haben wir unter anderem diskutiert, wie man die Leichtathletik (Diamond League) weltweit wieder populärer machen könnte und ob sich Langläufer (oder Ausdauerathleten im Generellen) „mehr verausgaben“ als Fussballer. Hast Du schon mal einen Fussballer nach einem Match mit einem Langstreckenläufer nach Zieleinlauf miteinander verglichen? Und wie könnte man das objektiv messen?

Wir haben uns auch gefragt, warum ein Zehnkämpfer nur zehn Disziplinen macht, obwohl es in der Leichtathletik weit mehr Disziplinen gibt. Konsequenterweise sollte eigentlich pro Olympiade ein König der Olympioniken erkoren werden; das wäre dann jener Athlet, der unter einer Gruppe von Athleten die alle olympischen Disziplinen bestreiten, insgesamt am besten abschliesst.

Oder warum tragen alle Fischer, denen wir früh morgens begegnen, eigentlich Tarnkleider? Haben Fische gute Augen und sind intelligent? Dies wurde von befreundeten Fischern mittlerweile bejaht.

In der Höhe befindet sich in der Luft weniger Sauerstoff. Würde es darum nicht Sinn machen zu trainieren ohne zu atmen? Wie weit kann man laufen ohne zu atmen? Diese Frage haben wir im Trainingscamp vor einem Jahr bereits beantwortet.

Sagt man eigentlich „Tschelerina“ oder „Zelerina“? Einheimische haben uns Folgendes bestätigt: Touristen sagen Tsch-, Einheimische Z-elerina.

Auf Grund von täglichem Salat-Konsum: Ist die Gurke wirklich eine Beere? Und ist die Erdbeere eine Nuss? Ja, beides stimmt gemäss Wikipedia tatsächlich! Ein Dankeschön an dieser Stelle an meinen Biologie-Lehrer, dank dem ich schon einige Wetten gewinnen konnte.

Wie heissen die drei Bergspitzen „Las Trais Fluors“ über Celerina schon wieder? Und wie ging die Sage darüber nochmals? Wir wissen es mittlerweile, aber dafür ist in diesem Blog nun wirklich kein Platz. Allegra!