Die beiden Marathon-Spezialisten Christian Kreienbühl und Tadesse Abraham haben sich mit längeren Aufenthalten in Afrika auf die Saison vorbereitet. Für den Rütner Kreienbühl war es eine Premiere.

Christian Kreienbühl ist beeindruckt. Erstmals überhaupt hat der Rütner ein Trainingslager in Afrika absolviert. Vier Wochen lang verbrachte der Marathon-Spezialist zusammen mit anderen Schweizer Langstreckenläufern in der kenianischen Hochebene in Iten auf 2400 Meter. Mit zahlreichen Dauerläufen arbeitete er im coupierten Gelände vor allem an der Grundlagenausdauer. Als «extrem inspirierend» hat Kreienbühl die Zeit in der afrikanischen Läuferhochburg erlebt. «Dort laufen alle. Und sie laufen sehr gut», sagt der 33-Jährige, der im Herbst an der Heim-EM in Zürich mit der Schweizer Marathon-Equipe die Bronzemedaille in der Teamwertung holte.

Kreienbühl kann von vielen eindrücklichen Begegnungen in Iten berichten. Zum Beispiel diejenigen mit Florence Jebet Kiplagat, der Halbmarathon-Weltrekordhalterin, die eines Tages im Training ebenfalls dabei war. «Während wir schon keuchten, lief sie noch immer locker und flockig», sagt Kreienbühl lachend. Keine Frage: Das Experiment, wie der Rütner seinen Trainingsaufenthalt in Kenia im Vorfeld bezeichnet hatte, ist geglückt. «Mein Gefühl ist sehr gut», sagt er. «Wie nachhaltig die Zeit in Kenia ist, wird sich aber erst zeigen.»

«Mein Gefühl ist sehr gut. Wie nachhaltig die Zeit in Kenia ist, wird sich aber erst zeigen.»

Lieblingsdestination Berlin
Und zwar am 26. April bei seinem ersten Marathon-Einsatz des Jahres in London. Knapp einen Monat vor dem Lauf in der englischen Hauptstadt steht für Kreienbühl aber Ende März noch der Halbmarathon in Berlin auf dem Programm. Dieses Rennen ist zugleich sein letzter Test vor dem Ernstkampf in London und soll ihm Rückschlüsse über den Formstand geben. «Läuft es beim Halbmarathon sehr gut, wäre das toll», sagt Kreienbühl. «Und wenn nicht, darf man sich davon auch nicht verrückt machen lassen.»

Die deutsche Hauptstadt ist für Kreienbühl ein besonderes Pflaster. Sowohl seine aktuelle Bestzeit über 42,195 Kilometer als auch diejenige im Halbmarathon hat er in Berlin aufgestellt. Die Marke von 1:05:55 Stunden will er am 29. März auf der topfebenen Strecke denn auch senken. «Das wäre cool», sagt der Oberländer, gibt aber zu bedenken, «dass das nicht so einfach sein wird.» Schliesslich bestreitet der Rütner den Lauf direkt aus dem Training heraus.

2015 das Jahr 2016 im Visier
Das Jahr 2015 steht für ihn schon ganz im Zeichen der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro. Der 33-Jährige würde am Zuckerhut gerne seinen Karrierehöhepunkt erleben, muss aber weitere Fortschritte erzielen, um das Ticket nach Brasilien lösen zu können. Noch ist die Olympialimite nicht offiziell bekannt, in Kürze wird sich das jedoch ändern, wie Kreienbühl sagt. Sie dürfte zwischen 2:13:30 und 2:14:00 Stunden liegen.

Das bedingt, dass der Rütner seinen Bestwert (2:15:35 Stunden) verbessert. Drei Chancen dürfte er haben, die Zeit zu unterbieten – zwei dieses Jahr, eine im Frühjahr 2016. Kreienbühls Fahrplan sieht vor, beim Marathon im Frühjahr in London seiner Bestzeit nahe zu kommen, um sie dann bei seinem zweiten Rennen des Jahres über die 42,195 Kilometer zu knacken. Der Oberländer hat für den September eine nahe liegende Wahl getroffen: den Marathon in Berlin. Nicht nur wegen seiner besonders engen emotionalen Bindung zum Rennen, sondern auch, weil die Strecke als schnellste der Welt gilt. Schon sechs Marathon-Weltrekorde gab es in der deutschen Hauptstadt seit 2003.

Ausrufezeichen in Barcelona
Seit einigen Tagen ist Christian Kreienbühl nun zurück in der Schweiz, macht sich aber schon am Wochenende wieder auf ins nächste Trainingslager nach Mallorca. Derweil befindet sich Tadesse Abraham noch immer in Afrika. Oder erneut, wie man korrekterweise sagen muss, denn schon am 6. Januar war der Athlet des LC Uster, der ebenfalls zum Schweizer Bronze-Team an der EM gehörte, zur Vorbereitung nach Addis Abeba aufgebrochen.

Zwischenzeitlich kehrte er für einen Einsatz aus Äthiopien wieder nach Europa zurück – und Abrahams Auftritt am Halbmarathon in Barcelona Mitte Februar hatte es in sich. Mit dem Plan angetreten, unter 62 Minuten zu bleiben, stoppte die Uhr nach 1:00:42 Stunden. Mit dieser Zeit drückte Abraham nicht nur seinen persönlichen Bestwert um fast zwei Minuten nach unten, sondern lief auch Schweizer Rekord. Weltweit waren heuer nur 16 Athleten schneller als der gebürtige Eritreer. Abraham freute sich über sein Ausrufezeichen in Barcelona, zeigte sich im ersten Moment aber auch ein wenig erstaunt darüber. «Ich wusste gar nicht, dass ich so schnell laufen kann.»

Von der Strasse auf die Bahn
Obwohl Abraham den Halbmarathon direkt aus dem Training heraus absolvierte, kam die gute Zeit nicht völlig überraschend zustande. Nach der Heim-EM in Zürich im Herbst hatte er sich zusammen mit seinem Staff entschieden, Anpassungen im Training vorzunehmen. Er absolviert nun gezielt mehr schnelle und dafür kürzere Trainingseinheiten, um im unteren Distanzbereich höhere Geschwindigkeiten laufen zu können. Immer im Fokus ist dabei sein Hauptziel für 2015: Sich über die 10 000 Meter für die WM in Peking im August zu qualifizieren.

Bevor er aber auf die Bahn wechselt, steht für den Athleten des LCU noch einmal seine Kerndisziplin im Mittelpunkt. Am Sonntag in einer Woche läuft Abraham in Seoul einen Marathon. Möglichst schnell möchte der 32-Jährige da sein und dabei auch gleich das WM-Ticket lösen – quasi als Plan B, sollte es später über die 10 000 Meter nicht klappen. Bei 2:15 Stunden liegt die WM-Limite. Das ist bei einem Läufer von Abrahams Klasse, dessen Bestwert 2:07:45 Stunden beträgt, eigentlich eine Pflichtaufgabe. Auch wenn es bei einem Marathon selbstredend viele Unwägbarkeiten gibt.

Die Vorzeichen zumindest sind positiv. Bis kurz vor seinem Einsatz trainiert Abraham in Äthiopien weiterhin mit anderen starken Läufern, die allesamt Bestzeiten zwischen 2:05 und 2:07 Stunden aufweisen. «Tadesse ist soweit auf Kurs», meldet Marco Eggs, der zu dessen Betreuerteam gehört. Der frühere Präsident des LC Uster glaubt, dass sich das intensivierte Tempotraining auszahlen wird. Die Basis stimme, ist Eggs sicher und sagt: «Er kann gelassen ins Rennen steigen.»

(Text: Zürcher Oberländer, Oliver Meile)

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