Sportler sammeln Millionen Daten von sich und teilen sie. Der führende Anbieter hat für den TA die Schweiz analysiert.

Wie schnell der Berner oder die Zürcherin joggt? Wie rasant er Rad fährt? Wie viele Kilometer sie zurücklegt? Diese und andere Fragen hat die führende Firma zum Thema für den TA aufbereitet. Strava heisst sie, wurde 2009 in San Francisco gegründet und kann jede Woche 150 000 neue Gratismitglieder begrüssen, primär Läufer und Radfahrer. Denn das Selbstvermessen boomt, gerade bei Sportlern. Es wird ihnen leicht gemacht: Ein Handy oder eine Uhr mit GPS sowie die App von Strava oder einem anderen Anbieter reichen.

Was diese sozialen Plattformen bieten, zeigt das Beispiel von Christian Kreienbühl. Der Zürcher zählt zu den schnellsten Schweizer Marathonläufern (2:13:57) und ist hierzulande einer der fleissigsten Strava-Nutzer auf Topniveau. Jedes Training lädt er auf die Plattform hoch. Kreienbühl legt offen, wie lange er pro Einheit rennt, in welchem Pulsbereich, wie schnell oder mit welchem Schuhtyp seines Sponsors. Auch Kalorienverbrauch oder absolvierte Höhenmeter sind aufgeführt. Wer Kreienbühl als sogenannten Follower begleitet, wie bei anderen sozialen Netzwerken auch, kann ihm zu Leistungen gratulieren, ihn befragen oder sich durch seine Bilder klicken. Das Interesse an seiner schweisstreibenden Fortbewegung ist gross: Weder auf Facebook noch Twitter verfügt er über mehr Follower. 2447 sind es.

Kreienbühl ist nur der Vorläufer vieler Schweizer, die ihre Daten über Strava teilen und damit eine virtuelle Sportgemeinschaft bilden. Wie viele es sind, sagt Strava nicht, dafür gerne, worin die Firma ihre Hauptfunktion sieht: dass Sportler ihre Informationen sichtbar machen – und darüber sowie über viele andere Facetten ihrer Passion reden.

Wer glaubt, auf Strava primär ehrgeizige Männer zu finden, irrt. Weltweit ist der Frauenanteil beim Laufen grösser. Beim Radfahren dominieren die Männer hingegen klar. Dass die rund zwei Millionen Strava-Mitglieder kaum die durchschnittliche Sportwelt verkörpern, scheint naheliegend. Es braucht durchaus Lust am Selbstdarstellen – und damit wohl ein bestimmtes Leistungsniveau, das man anderen präsentieren will. Zwar verneint Strava diese These. Wer sich aber durch die Konten klickt, wird den Verdacht trotzdem nicht los. Oder in Anlehnung an den französischen Philosophen René Descartes gesprochen: Ich messe mich, also bin ich.

Glücklicher dank Zahlen?

Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh schrieb im TA vor drei Jahren zum Thema, das aus den USA stammt und Quantified Self heisst: «Das Ich als Forschungsobjekt: Der Selbstvermesser hofft, sich im Datenspiegel zu erkennen, Fehler auszubügeln und zu einem besseren Leben zu gelangen… Als wäre Glück ein Rechenergebnis, erzielbar durch die korrekte Anwendung der Formel.» Sie warnt im Essay: «Die Verwandlung eines Lebewesens in Zahlenkolonnen macht den Menschen zum Objekt und läuft damit automatisch Gefahr, Fremdherrschaft zu begründen.»

Wer glaubt, auf Strava primär ehrgeizige Männer zu finden, irrt.

Sind selbstvermessene Sportler also hirnlose Lemminge? Wer sich Einträge von Athleten über alle Kontinente verteilt anschaut, braucht schon ein Pessimist zu sein, damit er Zehs Aussagen vollumfänglich bestätigt sieht. Da haben sportliche Menschen schlicht einen spielerischen bis zuweilen ernsten virtuellen Zugang zu ihrem Hobby gefunden. Zumal das Vermessen gerade im (Profi-)Sport seit Jahrzehnten dazugehört und Fortschritte erst mitbegründet. Schliesslich kann sich nur verbessern, wer sich versteht. Um Leistung muss es sich dabei nicht zwingend handeln, es kann auch Wohlbefinden und damit gar Glück sein.

Dass die sportlichen Selbstvermesser übertreiben können, ist ebenso menschlich. Auf Strava lassen sich gar Streckenabschnittsrekorde aufstellen. Dies führte in den USA bis zum Tod, weil sich ein Radfahrer seine Topzeit zurückerobern wollte – und dabei mit einem Auto kollidierte. Harmlos sind im Vergleich die wenigen Betrüger: Sie frisieren ihre Daten mit einem Hilfsprogramm oder werfen ihre Uhr die finalen Meter bis zum Ziel (das Handy eignet sich dafür eher nicht). Strava reagierte, indem Follower diese Peinlichen anzeigen können.

Die eigenen sportlichen Datenabdrücke lassen sich aber auch kreativ nutzen. Der Kanadier Stephen Lund ist so ein GPS-Künstler. Er fährt bzw. zeichnet Routen durch Städte. Zusammengesetzt bilden sie Tierformen wie die eines Dinosauriers, Fischs oder auch einmal ein Playmobil-Männchen.

 

Ob radelnde Spielerei oder sportlicher Ernst: Die Milliarden von Informationen kann Strava bislang nicht gewinnbringend umsetzen. Nur der Freude am Datenerheben wegen haben die Gründer die Firma allerdings nicht lanciert. Darum ist das komplette Angebot für Premiumkunden, rund 200 000 sind es, kostenpflichtig.

Städte messen Pendlerströme

Auch Städte, bislang vor allem in Australien und den USA, bezahlen für Strava-Daten. Schliesslich können anhand sogenannter Heat-Maps, wie sie Strava für Zürich aufbereitete, die Bewegungsströme der Rad-Pendler (oder Läufer) nachgezeichnet werden. Je dunkler ein Strassenabschnitt ist, desto häufiger wird er benutzt. Dass die Pendler dabei nicht zwingend dort durchfahren, wo es die Stadtplaner beabsichtigten, wird auf diesen Karten offensichtlich.

Entsprechend helfen diese Informationen den Städten beim Um- oder Neubau von Radwegen – oder lassen zumindest erkennen, wo Engpässe und gefährliche Stellen für die Pendler bestehen. Weil sich dank dieser Heat-Maps die Sicherheit der Pendler verbessern lässt, sind Hunderttausende auf der Welt bereit, ihre Daten für Strava zu sammeln. Im letzten Jahr registrierte Strava auch dank dieser Velofahrer weltweit 115 788 472 Fahrten, was 4 145 814,539 km oder der Reise zum Neptun entspricht.

 

 

(Text: Tages-Anzeiger, Christian Brüngger | Bild: Strava, Antton Miettinen)

 

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