Viele Sommersportler betreiben im Winter intensiv Langlauf. Was treibt sie dabei an? Ein Trainingsbesuch bei Nino Schurter, Jan van Berkel und Christian Kreienbühl.
Lange herumtrödeln wollen die drei nicht. Nach einem kurzen Hallo – man kennt sich, zum Teil von gemeinsamen Trainings, zum Teil vom Sehen – ziehen Nino Schurter, Jan van Berkel und Christian Kreienbühl ihre Langlaufski an. Sie gehören zu jenen Sommersportlern, die dem Winter durchaus etwas abgewinnen können. Weil er ihnen die Möglichkeit bietet, ausserhalb des üblichen Trainingsplans an sich zu arbeiten. Bevorzugt auf den Langlaufski, weil sich da die Ausdauer ideal trainieren lässt.
In diesen Tagen stehen deshalb der Mountainbiker, der Triathlet und der Marathonläufer regelmässig auf den schmalen Latten. Dass sie dies gemeinsam tun, ist aber eine Premiere. Sie sollen berichten, was sie dazu motiviert, ausserhalb ihres Fachgebiets zu trainieren. Es ist aber keine aktive Plauderstunde, die nun folgt. Im Gegenteil.
«Ich habe heute zwei Stunden geplant», sagt Schurter und macht deutlich, dass er nicht von seinem Trainingsplan abzuweichen gedenkt. Van Berkel und Kreienbühl verziehen etwas das Gesicht. Der eine, weil er später am Tag noch ein Intervalltraining auf dem Rad geplant hat. Kreienbühl, weil er schon vor dem ersten Stockstoss weiss, dass dies für ihn ein sehr anstrengender Morgen werden dürfte.
Olympiasieger mit Heimloipe
Sein Gefühl trügt nicht. Vorne bestimmt Schurter die Pace, dahinter machen Van Berkel und Kreienbühl auf gute Miene respektive: Sie setzen ihre Pokerfaces auf. Der Bike-Olympiasieger hat auf der Lenzerheide Heimspiel. Es ist seine Heimloipe, im Dezember spult er hier praktisch täglich seine Kilometer ab, 12 Stunden pro Woche. Auch Van Berkel (31) kennt das Gelände, seine Eltern besitzen hier eine Ferienwohnung, entsprechend machte er bereits als Jugendlicher erste Versuche auf Langlaufski.
So hat ausgerechnet der Mann mit den holländischen Wurzeln die längste Langlaufgeschichte des Trios. Schurter (31) wuchs zwar in den Bündner Bergen auf, «aber als Kind fand ich Langlaufen nicht cool». Erst sein Trainer Nicolas Siegenthaler, ein einstiger Altersweltmeister im Langlauf, konnte Schurter während der Spitzensport-RS davon überzeugen. Heute geniesst der Bike-Dominator die Abwechslung im Training, «zumal mein Winter nur von Dezember bis Anfang Januar dauert – danach geht es schon für die ersten Trainingslager in den Süden».
Die kürzeste und ungewöhnlichste Beziehung zum Langlaufen hat Kreienbühl. Der 36-Jährige fing erst 2013 an. Er war fast schon dazu gezwungen: Seine Frau ist in der Ausbildung zur Langlauflehrerin, ihr Bruder Livio Bieler im Kader von Swiss-Ski, und die Schwiegereltern führen ein auf Langlauf spezialisiertes Sportgeschäft.
Nach Rio half Langlauf weiter
Doch es waren nicht die familiären Bande, die aus Kreienbühl letzten Winter einen Halbprofi-Langläufer machten – zumindest gemäss Trainingspensum. 171 Stunden stand er auf den Langlaufski, mehr als doppelt so lange wie Schurter und Van Berkel zusammen. Nicht ganz freiwillig allerdings: Nach den Spielen in Rio 2016 hatten sich bei Kreienbühl Achillessehnenbeschwerden derart akzentuiert, dass nicht mehr an ein geregeltes Lauftraining zu denken war.
Die Beschwerden sind abgeklungen, Kreienbühl hofft nun, auch wegen des Langlaufens nächste Saison noch einmal einen Schritt zu machen. Durch das Alternativtraining konnte er sein Trainingsvolumen deutlich ausbauen. Auf den Langlaufski sind viel längere Einheiten möglich als zu Fuss, wo er nie länger als zweieinhalb Stunden läuft.
Doch das Tempo, das Schurter anschlägt, ist nicht sein gewohntes. Vor allem bergauf. Da wird deutlich, dass der Biker sowohl die Technik wie auch die Kraft hat, um eine hohe Pace zu laufen. Triathlet Van Berkel verfügt zwar nicht über eine ganz so feine Technik, aber seine schwimmgestählte Oberkörpermuskulatur lässt ihn trotzdem mithalten, derweil Läufer Kreienbühl mit seinen dünnen Armen ans Limit kommt.
Schurter ist auch auf fremdem Terrain klar der Stärkste. Van Berkel sagt: «Ein Ferrari ist auch auf Schnee ein Ferrari.»
Schurter ist auch bergab schnell, sein Ski gleitet ideal. Kein Wunder: Seine Ausrüstung unterscheidet sich nicht von jener der Profis. Anders seine Mitstreiter: Zwar haben sie extra für dieses Training einen steiferen Schuh organisiert. Aber sonst ist ihre Ausrüstung nicht ganz auf Schurters Level. Das zeigt sich bergab: Van Berkel ist chancenlos – seine Latten wurden schon länger nicht mehr gewachst. Dies wäre bei Kreienbühl nicht das Problem. Aber er mag die Kurven nicht ganz so schwungvoll nehmen.
Deutlich wird: Schurter ist auch auf fremdem Terrain klar der Stärkste, oder wie es Van Berkel ausdrückt: «Ein Ferrari ist auch auf Schnee ein Ferrari.»
Der Biker trainiert denn auch am konsequentesten auf den Ski. Während Van Berkel und Kreienbühl primär fürs Grundlagentraining über den Schnee gleiten, fordert er sich auch mit Intervalltrainings, 5 bis 10 Minuten langen Reizen. «Dazu brauche ich hier Koordination und Balance, was mir auf dem Bike zugutekommt», sagt Schurter.
An diesem Tag drückt nach der ersten Laufstunde immer stärker die Sonne durch, es wird ein richtig schöner Vormittag in der Loipe. Kein Muss für Schurter: «Eineinhalb bis zwei Stunden kannst du auf den Langlaufski auch bei minus 10 Grad oder Schneeregen trainieren. Auf dem Bike würde ich da schon lange frieren. Darum bike ich derzeit praktisch nie. Auf Schnee, das sch… mich an.»
Erfolgsgeheimnisse der Schweizer Ausdauerathleten
Die Langlaufski dagegen bereiten ihm so richtig Spass. Nach 1:50 Stunden sind die drei zurück am Start. Schurter fragt: «Seid ihr im Stress?» Dann hängt er alleine die fehlenden 10 Minuten an. Später im Restaurant wird das Gespräch fast schon philosophisch. Van Berkel zählt auf, was ihn am Wintersport fasziniert: «Die Inputs auf den Körper, die anderen Geräusche und die Lichtstimmungen, dazu die Kälte.» Und: «Langlauf hebt uns von anderen Nationen ab. Es ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Schweizer Ausdauerathleten. Es tut gut, etwas zu machen, worin man nicht Experte ist, ein neuer Reiz. Auch muss ich so mehr auf den Körper hören: Ich kenne keine genauen Pulsbereiche, habe keine Wattzahlen.» Kreienbühl stimmt zu: «Ich mag die komplexere Bewegung, die mich herausfordert: Laufen ist dagegen voll automatisiert, monoton.»
Einig sind sich die drei, was Wettkämpfe in der Loipe angeht: Diese haben höchstens zum Spass Platz. Was nicht heisst, dass sie mit der Startnummer auf der Brust ohne Ehrgeiz wären. Schurter klassierte sich bei seinem Heimrennen, dem Volkslauf Planoiras, schon dreimal in den Top 20 von gut 200 Teilnehmern. Und staunte dabei: «Es ist ein ganz anderes Laufen. Ich glaubte, ich könne schon ein bisschen Langlaufen. Aber dann kam ich zur ersten Steigung und blieb fast stehen, weil ich mich völlig verhaspelte. Ich kam mir vor wie der letzte Hobbypilot.»
Die Traumzeit am Skimarathon
Van Berkel und Kreienbühl nahmen beide schon am Engadin-Skimarathon teil. Der Triathlet kam dort zur Erkenntnis, «dass einer, der technisch perfekt läuft, auch mit einem viel kleineren ‹Motor› mit mir mithalten kann». Kreienbühl schaffte derweil bei seinem Engadiner-Debüt letzten März, was in seinem Hauptsport, dem Marathonlauf, noch niemandem gelungen ist: Er blieb unter zwei Stunden, und zwar deutlich.
Es war eine Ausnahme, heuer wird er im März wieder Läufer sein, mit Blick auf die EM im Sommer einen Halbmarathon bestreiten. Van Berkel hat sich dagegen den 50. Engadiner in die Agenda geschrieben. Ganz frisch wird er aber nicht antreten, eine Woche davor steht bei ihm der Ironman Neuseeland auf dem Programm. Und Schurter? Der muss sein Engadiner-Debüt wohl auf nach der Karriere vertagen: Im März weilt er für Training und Rennen bereits in Südafrika.
Text: Tages-Anzeiger (Emil Bischofberger) | Header-Bild: Doris Fanconi | Download: pdf
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Bericht folgt via @tagesanzeiger / @bischofberger pic.twitter.com/iAa0SH2V8g— Christian Kreienbühl (@ckr) December 23, 2017