Der Rütner Christian Kreienbühl trainiert seit Jahren häufig im Engadin. Derzeit befindet er sich in der Endphase seiner Vorbereitung auf den EM-Marathon im August. Und er kann zufrieden festhalten: Der Fahrplan stimmt.

Klick für Klick taucht man tiefer ein. Die Farben sind intensiv, die Sujets der Landschaftsbilder bisweilen dramatisch. Bald einmal hat man das Gefühl, sich auf der Webseite einer Tourismusorganisation zu befinden, die das Engadin vermarktet.

Doch hinter den ausstrucksstarken Fotos steckt keine professionelle Agentur, sondern ein professioneller Läufer, der damit auf den digitalen Kanälen seine Liebe zum Hochtal zeigt. Das Engadin ist schon fast zur zweiten Heimat von Christian Kreienbühl geworden, dem Rütner, der sich momentan auf den EM-Marathon im August vorbereitet.

Wenn der Langstreckenspezialist am 12. August in Berlin die 42,195 km unter die Füsse nimmt, die den Endpunkt all seiner Anstrengungen markieren, wird er allein 2018 drei Monate – aufgeteilt in drei Blöcke à je vier Wochen – im Engadin verbracht haben.

Insgesamt, so hat es der Oberländer ausgerechnet, kommt er in den letzten acht Jahren auf 66 Wochen.

Die massgebenden Gründe dafür? Die Höhenlage, eine perfekte Infrastruktur und die inspirierende Umgebung. Nicht nur die Natur an sich ist damit gemeint, sondern auch der Umstand, dass viele Leistungssportler im Engadin anzutreffen sind, was motivierend ist.

Die Vorfreude ist gross.

Christian Kreienbühl

Marathonläufer

Ab und zu verstecken tut gut

Für gewöhnlich trainiert Kreienbühl an seiner bevorzugten Destination allein. Jetzt aber sagt er, gefolgt von einem Lachen: «Die Einsiedelei hat ein Ende.»

Seit wenigen Tagen weilt ein Grossteil der Schweizer Marathon-Nationalmannschaft ebenfalls im Bündnerland, um sich für den Saisonhöhepunkt im August den Feinschliff zu verpassen. Kreienbühl geniesst die gemeinsamen Laufeinheiten, etwa mit Andreas Kempf und Geronimo von Wartburg.

«Man braucht weniger Energie, kann sich auch einmal hinter den anderen verstecken an einem schlechten Tag.» Solche hat Kreienbühl zuletzt nicht mehr allzu häufig eingezogen. In sein Trainingstagebuch, in dem er jede Einheit in einem Ranking von 1 bis 5 bewertet und «im Normalfall» eine 3 schreibt, kann er öfters eine 4 setzen.

Eine Selbstverständlichkeit ist das nicht. Der Oberländer hatte nach den Olympischen Spielen 2016 lange mit Schmerzen in der Achillessehne zu kämpfen, musste auf Alternativtraining setzen, weil er nicht mehr laufen konnte.

Seit zehn Wochen aber und nach einer überaus behutsamen Steigerung ist er auf seinen früheren Laufpensum zurück. «Ich bin zu 100 Prozent schmerzfrei. So macht es extrem Spass und ich spüre meine Fortschritte.»

Ein Team aus Einzelsportlern

Kreienbühl sieht sich auf die EM hin im Fahrplan. Gegenüber dem letzten September, als er in seinem bisher letzten Marathon die Limite für die kontinentalen Meisterschaften unterbot, fühlt er sich besser in Form. Auch wenn er einschränkt: «Es ist generell schwierig, das zu beurteilen.»

Im letzten Block seiner Vorbereitung hat der Routinier die Anzahl der Laufeinheiten nun reduziert, setzt auf Qualität. Mittlerweile zählt er auch die Wochen retour bis zu seinem Einsatz in Berlin. Deren fünf sind es noch.

Sechs Schweizer werden den EM-Marathon in Angriff nehmen, die besten drei zählen zur Teamwertung, in der Medaillen locken. Obwohl die Marathonläufer Einzelsportler sind, führt diese Ausgangslage bei den Schweizer Langstreckenspezialisten dazu, dass ihr Teamgedanke relativ stark ausgeprägt ist.

Es sei zwar logisch, dass jeder für sich selber das Maximum herausholen wolle, sagt Kreienbühl. Er leitet daraus allerdings ab: «Genau das ergibt fürs Team den bestmöglichen Ertrag.»

Die erschwerte Aufgabe

Zwei Team-EM-Medaillen hat der Rütner schon gewonnen. 2014 im Marathon (3.), zwei Jahre später im Halbmarathon gar Gold. Beide Male hatten die Schweizer im Vorfeld nicht zu den Medaillenkandidaten gezählt.

Daran hat sich nichts geändert. Auf dem Papier dürften die von Tadesse Abraham (LC Uster) angeführten Schweizer knapp zu den Top Ten gehören. Der verletzungsbedingte Ausfall von Adrian Lehmann macht die Aufgabe in der deutschen Hauptstadt noch etwas schwieriger.

Kreienbühl sagt dennoch: «Ich habe ein gutes Gefühl.» Nach der langen Vorbereitung rückt bei ihm die EM auch gedanklich immer mehr ins Zentrum. «Die Vorfreude ist gross.»

Wie immer steht kurz vor dem Marathon noch ein letztes, schnelles Rennen auf seinem Programm. Neben weiteren Schweizer Topläufern bestreitet Kreienbühl am 20. Juli den Aegeriseelauf.

Danach zieht sich der Oberländer nochmals eine Woche in die Höhe, in seine zweite Heimat zurück – man kann sich also schon jetzt auf einige neue Fotos aus dem Engadin freuen.

Text züriost: Der Liebe wegen in die Höhe (Oliver Meile) | Download: pdf