Der Rütner Christian Kreienbühl hat sein letztes Rennen allenfalls bereits hinter sich.

Text: züriost (Oliver Meile) | Download: pdf

Die Rechnung ist schnell gemacht. Christian Kreienbühl muss vorderhand zu Hause arbeiten, da fällt das Pendeln weg. Dafür bleibt ihm mehr Zeit zum Trainieren. Das scheint sich auszuzahlen. Der Rütner freut sich, «recht gut» in Form zu sein. Und schiebt nach: «Das sage ich sonst selten.» Wie sonst ist beim Marathonläufer allerdings längst nichts mehr. Einen einzigen Wettkampf – den Halbmarathon von Barcelona im Februar – konnte er heuer bestreiten. In diesem verpasste er die EM-Limite nur um zwei Sekunden. Der Ärger darüber hielt sich allerdings in Grenzen. Weil er dafür zufrieden festhalten konnte: So gut war er schon lange nicht mehr gelaufen.

Der Blick nach vorne verleitet ihn dennoch nicht zu Freudensprüngen. Von seiner ursprünglichen Planung, die ihm diese Saison mit der EM in Paris und dem New-York-Marathon zwei sportliche Höhepunkte hätten bescheren können, dürfte nichts mehr übrig bleiben. Die beiden Anlässe sind bisher zwar weder verschoben noch abgesagt. Dass die kontinentalen Meisterschaften (25. bis 30. August) in der französischen Hauptstadt aber tatsächlich stattfinden, scheint trotzdem unrealistisch. Obwohl das Organisationskomitee an den Vorbereitungsarbeiten weiterhin festhält.

Auch die Durchführung des New-York-Marathon kann man sich aktuell nicht vorstellen – der Grossanlass wäre allerdings erst Anfang November. Kreienbühl beobachtet die Entwicklung. Was soll er auch anderes tun? «Einen Plan B habe ich nicht. Ich schaue von Woche zu Woche.»

Einen Plan B habe ich nicht. Ich schaue von Woche zu Woche.
Christian Kreienbühl

Marathonläufer

Der Zusatz ist keine Option

Der erfahrene Langstreckenspezialist geniesst als Läufer zwar den Vorteil, im Trainingsalltag keine Abstriche in Kauf nehmen zu müssen. Und es macht ihm keinerlei Mühe, ohne konkretes Ziel weiter konsequent zu trainieren. Kreienbühl hätte trotzdem Grund zu hadern. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er mit dem Rennen in New York den Schlussstrich unter seine Zeit als Leistungssportler setzen wollte.

Nun droht dem Olympiateilnehmer von Rio de Janeiro 2016 ein leiser Abschied durch die Hintertüre, einer ohne einen letzten sportlichen Höhepunkt. Eine weitere Saison anzuhängen, ist für ihn keine Option. «Ich bin ja auch genug alt», sagt der Läufer, der in seiner Karriere schon 60 000 Trainingskilometer zurückgelegt hat, und lacht. 39 wird er im Juni. Und im Sommer auch zum zweiten Mal Vater. Die Prioritäten verschieben sich danach endgültig.

«Ich bin extrem motiviert»

Alles hätte so schön aufgehen können. Ein letztes Mal wollte das Mitglied des Schweizer Elite-Nationalkaders heuer vom perfekten Zusammenspiel zwischen Leistungssport, Beruf (50-Prozent-Anstellung) und Familie profitieren, ehe er sein Arbeitspensum erhöht hätte. Nicht nur das Set-up war ideal. Der Oberländer, der nach seinem Karrierehöhepunkt in Brasilien verletzungsbedingt mehrere Monate lang mit Lauftraining aussetzen musste, ist momentan völlig beschwerdefrei. Und nachdem er im Vorjahr eine Phase durchlebte, in der er Schwierigkeiten hatte, sich anzutreiben, ist die Lust am Laufen jetzt wieder gross. Er sagt: «Ich bin extrem motiviert.»

Führt man sich das alles vor Augen, nimmt es Kreienbühl erstaunlich gelassen, dass er seine Spitzensportlerkarriere allenfalls ohne weiteren Wettkampf beenden muss. Wohl auch darum, weil er mit sich im Reinen ist. Der Rütner kann von sich etwas sagen, das nicht alle können: «Ich habe alle meine Ziele erreicht.» Er bestritt Olympische Spiele, eine WM und gewann bei seinen drei aufeinanderfolgenden EM-Starts zweimal eine Team-Medaille. Seine ganz persönliche EM-Serie um eine vierte Teilnahme fortführen zu können, damit hat er mehr oder weniger abgeschlossen. Zu viele Fragen sind offen. Etwa jene, wie ein angepasstes Qualifikationskonzept – die ursprüngliche Selektionsperiode endet am 2. Juli – aussehen könnte.

Und wie schmerzhaft wäre eine Absage des New-York-Marathon für ihn? Sie wäre verkraftbar, findet Kreienbühl. «Den kann ich auch ein Jahr später noch laufen», sagt er. «Einfach nicht mehr auf demselben Niveau.»

Der Rütner Christian Kreienbühl kann zufrieden seinem sportlichen Ruhestand entgegenlaufen. Er sagt: «Ich habe alle meine Ziele erreicht.»